Celerina. Knapp 1500 Einwohner, 1700 Meter über dem Meeresspiegel, über 1800 Sonnenstunden pro Jahr: Das pittoreske Nachbardorf des mondänen St. Moritz verzaubert durch seinen natürlichen Charme. Schon von Weitem sichtbar: die Jugendstil-Ikone Cresta Palace.
Seit 1906 empfängt das Oberengadiner Traditionshaus Gäste aus aller Welt. Immer wieder wurde es dem Zeitgeist angepasst, hat jedoch gleichwohl seinen ursprünglichen Reiz bewahrt: Stuckdecken, Säulen und Kronleuchter verleihen dem Cresta Palace Hotel einen geradezu märchenhaften Charakter.
Im vergangenen Frühjahr hat ein neues Besitzerpaar das Zepter übernommen: Annika und Markus Tauss. Letzterer leitete zuvor das luxuriöse Retreat im ebenfalls traditionsreichen Schloss Elmau in Bayern. Der erste Streich des Paares in Celerina: kostenlose Ferien für Kinder. «Mir gefällt ganz einfach die Idee, Kinder einzuladen», sagt Markus Tauss, selbst Vater einer einjährigen Tochter.
Auch die Freizeitangebote für Kinder sind gratis. Im Kid’s Club gibt es tägliche Bastel-, Spiel- und Lernangebote für Kinder ab drei Jahren, darunter – witzige Idee! – einen Kniggekurs: Hier lernen die Kinder, wie man in einem derart eleganten Haus einen Tisch deckt. Gar nicht so einfach bei dem vielen Silberbesteck! Da geht unseren Jungs das Kürbisschnitzen oder Pizzabacken wesentlich leichter von der Hand.
Engadin – Region der Grand Hotels
Das Engadin, mit seinen zahlreichen Grand Hotels einzigartig in der Schweiz, ist im Winter äusserst beliebt. Das Cresta Palace ist dann der Ort der Begierde schlechthin – nicht zuletzt dank der Skischule hinter und dem Eisfeld direkt vor dem Haus, auf dem Schlittschuh gelaufen, Curling und Eishockey gespielt wird. Doch im Sommer kämpft die Region um Gäste, obwohl sie alles bietet: Wandern, Biken, Golfen, Tennis.
«Celerina muss als Destination attraktiver werden», ist Markus Tauss überzeugt. Das Dorf um das Flaggschiff Cresta Palace sei zu wenig lebendig, es mangle aber nicht an Ideen. «Mein grösster Auftrag ist es, die Lücke zu schliessen zwischen Sommer und Winter.» Der Corona-Sommer 2020 war stark, die Schweizer strömten in Scharen in die Berge. Das soll so bleiben.
Strand und Meer hat das Engadin zwar bekanntlich nicht zu bieten, dafür aber zahlreiche Seen, deren Farbpalette alle Nuancen zwischen Dunkelblau und Helltürkis zu umspannen scheint. Auch in der Zwischensaison ist es hier traumhaft schön. Im Herbst verleiht das Licht der Natur eine geradezu melancholische Stimmung.
Zur Muottas Muragl Bahn, die Gäste zum vielleicht schönsten Aussichtspunkt des ganzen Engadins bringt, sind es vom Hotel aus nur wenige Minuten. Oben auf 2’456 Metern über dem Meer angekommen, staunen wir nicht nur über den vielen Schnee, sondern auch über die eindrückliche Bergwelt sowie über die gigantische Sicht auf die fünf Oberengadiner Seen. Und die Kinder? Machen ihre erste Schneeballschlacht des sich ankündigenden Winters.
Zurück im Hotel, wärmen wir uns auf. Wir haben zwei gemütliche und äusserst grosszügige Zimmer mit Verbindungstür, die von ihrem altmodischen Stil her perfekt zu einem Grand Hotel passen. Der vielerorts angesagte Alpin-Chic wäre hier völlig fehl am Platz, und entsprechend überlegt soll auch die bevorstehende Modernisierung ausfallen. Holzböden statt Teppich und insgesamt mehr Leichtigkeit, das schon. «Das Thema Jugendstil wird aber erhalten bleiben», verspricht Markus Tauss. Ziel: eine moderne Interpretation der Jahrhundertwende-Architektur. Im Sommer 2022 soll rund die Hälfte der insgesamt 96 Zimmer renoviert sein.
Unser Abendessen nehmen wir im e leganten Grand Restaurant ein, das seinem Namen alle Ehre macht. Das Essen ist ebenfalls grandios. Jeder Wunsch wird uns von den Lippen abgelesen, ohne dass die Atmosphäre auch nur annähernd prätentiös wäre. Die Kinder fühlen sich pudelwohl (ebenso übrigens im Giacomo’s, dem zweiten Hotelrestaurant, das etwas rustikaler, kleiner und gemütlicher ist).
Am nächsten Tag geht’s auf zum Geissentrekking. Das Cresta Palace Hotel wartet jeweils im Sommerhalbjahr mit einem einzigartigen Aktivprogramm für Kinder auf: Von Geissentrekking bis Segeln ist alles dabei. Die Aktivitäten finden an sechs Tagen pro Woche statt und richten sich an Kinder ab fünf Jahren, einige Angebote – wie Stand Up Paddling – setzen aus Sicherheitsgründen ein höheres Alter voraus. Kosten fallen erst für Jugendliche ab 16 Jahren an. «Wir haben uns Dreierlei auf die Fahne geschrieben», fasst Markus Tauss das neue Konzept des Cresta Palace Hotels zusammen. «Familienfreundlichkeit, Kulinarik und Sport.»
Tim, unser Jüngster, hat im Kleinkindalter eine Bauernhofkrippe besucht, wo er zusammen mit den anderen Kindern und den Betreuerinnen regelmässig mit Hund, Katze und Zwergziegen durch den Wald spazierte. Manchmal trottete auch ein Pony mit in der Karawane.
Doch die Geissen, die uns heute erwarten, sind alles andere als Zwergexemplare. Und so ermahnen wir unseren kleinen Tierfreund, Respekt vor den Hörnern der Tiere zu haben. Nicole, die «Geissenmutter», hat ihrem ursprünglichen Beruf in der Eventbranche vor drei Jahren den Rücken gekehrt und ihrem Leben eine 180-Grad-Kehrtwende verpasst. Die beste Entscheidung, die sie je getroffen habe, erzählt sie.
Und als wir mit Buess, Momo, Sämi und Gibo durch die Wiesen und Wälder wandern, kann ich sie verstehen. Die Natur hier oben entschleunigt, erdet, beruhigt – gerade für Städter wie uns eine Wohltat, auch wenn es nur ein Ausbruch für wenige Stunden ist – und gibt Tim, der sonst gern quengelnd stehenbleibt, weil er ach so müde ist, einen wundersamen Energieschub: Problemlos führt er Momo über Stock und Stein und rennt dazwischen mit Hündin Lou um die Wette.
Der Kletterausflug im Klettergarten Morteratsch am nächsten Tag fällt ins Wasser. Die Felsen seien schlichtweg zu kalt – es ist notabene Mitte Oktober und die letzte Woche, bevor das Hotel bis im Dezember schliesst, und die Temperaturen erreichen Werte nur knapp über Null. Stattdessen geht’s in den Hochseilgarten Pontresina, was mir ehrlich gesagt auch lieber ist.
Als wir am nächsten Tag aufwachen, trauen wir unseren Augen kaum: Alles ist weiss. Es hat geschneit. Das Stand Up Paddling war wegen der niedrigen Temperaturen ohnehin bereits abgesagt worden, doch leider muss auch das Segeln am nächsten Tag auf Eis gelegt werden.
Macht nichts, denn die Sonne scheint und es gibt genug zu tun. Überhaupt, diese Sonne: Sie scheint hier oben fast immer. Celerina gilt als die Sonnenstube des Engadins. Zieren deshalb so viele Sonnenuhren die Häuser des Dorfs?
Nicht einmal eine Stunde von Celerina entfernt beginnt eine andere Welt. Wir fahren über den Berninapass in den Puschlav – eine Region der Schweiz, die uns bis anhin völlig unbekannt ist. Auf dem Pass entdecken wir eine Höhle mit metergrossen Eiszapfen.
Und genauso plötzlich, wie es auf dem Pass weiss geworden ist, wird es grün, als wir wieder ins Tal fahren. Poschiavo ist ein herziger Ort, allerdings, zumindest jetzt im Herbst, reichlich verschlafen. Über die Mittagsstunden bleibt sogar die Bäckerei geschlossen.
Entlang des Flusses Poschiavino fahren wir zum Lago di Poschiavo. Der See überrascht uns mit seiner wunderschönen türkisblauen Farbe.
Es ist unser letzter Abend im Cresta Palace Hotel. Wir haben viel unternommen, aber auch viel «gechillt», wie die Kinder zu sagen pflegen. Doch eines steht noch auf unserer Bucket List: Bündner Sushi essen, eine Spezialität des Hauses. Statt Fisch Raclette und Speck, statt Ingwer eingelegte Apfelringe, statt Nori ein Tempuramantel. Und ja, es schmeckt!
Bevor wir am nächsten Tag die Rückreise antreten, nehmen die Kinder noch am «Bikespass» teil, ebenfalls Teil des Cresta-Palace-Aktivprogramms: Im Bike Skills Park in St. Moritz lernen sie auf spielerische Art und Weise, über verschiedene Hindernisse zu fahren. Nach anderthalb Stunden haben sie den Dreh raus und meistern den Parcours mit Bravour.
Wir waren nicht zum ersten Mal im Engadin. Doch erst, wenn man länger bleibt, merkt man, wie gut einem die Ruhe, die Luft, die Natur tun. Als wir über den Julier zurück nach Zürich fahren, überkommt mich eine ungeahnte Wehmut. A revair, Celerina!
Das Cresta Palace Hotel ist jeweils von Mitte Juni bis Mitte Oktober und von Anfang Dezember bis Ostermontag geöffnet.
Weitere Infos: Homepage des Hotels
Offenlegung: Dieser Artikel ist im Rahmen einer Einladung zu einer Recherchereise entstanden.
Miriam kümmert sich seit Juli 2018 bei PATOTRA hauptsächlich um das Themengebiet Reisen mit Kindern.
«Als langjährige Journalistin ist es für mich selbstverständlich, mit Neugier und offenen Augen durchs Leben zu gehen. Doch nicht immer sieht man aus der eigenen Perspektive alles – und so bin ich glücklich und dankbar, dass mein Mann und meine Kinder (14 und 8 Jahre) meine Weltsicht erweitern.
Ich liebe es, neue Welten zu entdecken – seien sie nah oder fern. Low-Budget-Reisen durch Südostasien gehören für mich ebenso dazu wie ein Verwöhnwochenende in den Alpen. Wichtig sind mir vor allem zwei Dinge: Die Reiseorte müssen authentisch sein. Und: Sie müssen nicht nur mich und meinen Mann, sondern auch unsere Kinder begeistern.»