Hastig eilen orthodoxe Juden zur Klagemauer. Vor der Klagemauer herrscht dichtes Gedränge. Ganze Familien, nicht wenige mit fünf bis sechs Kindern, alle festlich herausgeputzt, strömen auf den Platz vor der Klagemauer. Rechts dürfen die Frauen an die Mauer treten, links ist der Platz für die Männer. Durch eine Sichtschutzwand sind sie streng voneinander getrennt. Ein paar Frauen steigen auf einen der Plastikstühle, die auf dem Platz vor der Klagemauer stehen, und blicken zu den Männern hinüber.
Viele sind mit wippenden Bewegungen ins Gebet vertieft. Sie stecken kleine Zettel in die Mauerritzen, auf welche sie vorher ihre Wünsche geschrieben haben. Es sind viele Zettel. Der Boden vor der Mauer ist mit weissen Zettelchen übersät.
Inmitten der Betenden steht eine junge Frau aus Asien. Sie berührt die Mauer ehrfurchtsvoll mit beiden Händen, um sich dann in Pose zu werfen für ein Selfie von sich und den betenden Gläubigen.
Im Hintergrund ruft der Muezzin zum Gebet und Kirchenglocken läuten, als wollten Sie mit Nachdruck auf sich aufmerksam machen. Am Platz vor der Klagemauer versammeln sich auch Soldaten. Sie singen ausgelassen und fröhlich, fassen ihren Nachbarn an den Schultern und bilden einen grossen, tanzenden Kreis. Es ist Freitagabend. Zeit für das Shabbat-Gebet.
Ich befinde mich an einem der heiligsten Orte des Judentums.
Ganz in der Nähe legen zur gleichen Zeit Muslime in der Moschee ihre Gebetsteppiche aus und christliche Pilger zünden Kerzen in der Grabeskirche an und legen Souvenirs für zu Hause auf den Salbungsstein, während einige von ihnen fast entrückt beten.
Die Grabeskirche zählt zu den heiligsten Orten der Christen.
Mit etwas Abstand fällt der Blick vom Ölberg, auf die goldene Kuppel des Felsendomes.
Der Felsendom ist eine der wichtigsten Moscheen der Muslime.
Dahinter erheben sich die Glockentürme der zahlreichen Kirchen. Leider setzt sich dieses Nebeneinander der Gotteshäuser nicht überall im friedlichen Miteinander der Religionen fort.
Jerusalem – ein Mangel an Normalität
Jerusalem verwirrt mich, obwohl dies bereits meine zweite Reise nach Jerusalem ist. Diese Stadt lässt sich nicht einordnen. Die Grenze zwischen tiefem Glauben und Fanatismus verschwimmt. Der Glaube treibt mitunter eigenartige Blüten.
Ich mag keine Extreme und wohl nirgendwo sonst trifft man auf eine solche Ansammlung von Extremen, wie in Jerusalem. Und doch fasziniert mich diese Stadt auf eine fast schon unheimliche Art. Als hätte sie etwas Magisches. Der Blick vom Dach des inmitten des arabischen Viertels gelegenen österreichischen Hospizes ist atemberaubend.
Jerusalem ist, bei aller Schönheit und Faszination, schwer zu ertragen. Und doch hat dieser „Mangel an Normalität“, der zwischen den Mauern der Altstadt herrscht, etwas Fesselndes. Vielleicht muss man Jerusalem erlebt und gespürt haben, um dieses Gefühl nachvollziehen zu können. Als Mensch, der an keine Kirche oder Religion glaubt, sondern eher an eine universelle göttliche Ordnung, ist Jerusalem für mich kaum zu begreifen.
Jerusalem ganz „normal“
Jerusalem kann aber auch ganz anders: Nämlich entspannend banal und normal. Eine Erkenntnis, die nach einem Rundgang zwischen den Mauern der Altstadt von Jerusalem sehr befreiend ist!
Shuk and Cook – mit Ruth auf dem Mahane Yehuda Markt
In der Nähe des Mahane Yehuda Marktes, dem grössten Markt Israels, treffe ich mich mit Ruth Yudekovitz.
Ruth ist Ende vierzig. Sie hat wache, offene Augen. Aufgewachsen ist sie in den USA. Nach dem College reiste sie ein Jahr lang durch Europa „bis mir in Griechenland beinahe das Geld ausging. Also reiste ich, wie damals fast schon üblich, weiter nach Israel, um in einem Kibbuz zu arbeiten. Ich habe mich dann erst in das Land und kurz darauf in einen Mann verliebt“, verrät sie. „Als meine Söhne noch klein waren, sind wir für eine Weile in die Vereinigten Staaten, nach New York gezogen. Ich habe mich dort allerdings sehr isoliert gefühlt. In Israel ist man viel offener und sehr familienfreundlich. Also sind wir wieder hierher zurückgekommen. Hier bin ich zu Hause.“
Auf dem Mahane Yehuda Markt kaufen täglich rund 200’000 Besucher frisches Gemüse ein, den „Challe“, einen gebackenen Zopf den es nur freitags zum Shabbat zu kaufen gibt, sowie Tee, Gewürze, Kräuter, Humus und andere Lebensmittel. Ruth führt mich über den Markt. Ein Fest für die Sinne.
Es duftet nach orientalischen Gewürzen, Cumin, Kurkuma und Sumac, die sich gegenseitig an Farbe und Duft zu übertrumpfen versuchen. Dazwischen frische Minze und reife Früchte in allen Farben und Formen.
Händler reichen kleine Leckereien zum Probieren – klebrig süsse Baklava mit Pistazien und Brotstückchen mit Hummus. Ich befinde mich in dem Land, in dem Milch und Honig fliessen!
Nachdem wir uns ein wenig kennengelernt haben, schickt mich Ruth, ausgerüstet mit einem Einkaufszettel los, selbst den Markt zu erkunden. Meine Aufgabe ist es, die Zutaten für das Mittagessen einzukaufen. Da Ruth mir genau beschrieben hat, bei welchem Händler ich was einkaufen soll, ist das ein Klacks und ich habe meine Aufgabe schnell erledigt.
Bei Ruth zu Hause
Ich begleite Ruth nach Hause. Sie lebt in einem ruhigen Wohnviertel. Die Nachbarschaft kennt sich und man wechselt, wenn man sich begegnet, ein paar freundliche Worte. „Eigentlich haben wir hier eine sehr hohe Lebensqualität, wenn man von den politischen bzw. religiösen Konflikten absieht. Wie alle anderen Menschen, möchten auch wir hier einfach in Frieden mit unseren Nachbarn leben“, sagt Ruth. Hier in Abu Tor scheint das Zusammenleben zwischen Juden und Arabern zu gelingen. Die Konflikte lösen sich scheinbar in der alltäglichen Normalität auf. Zumindest sagt das Ruth.
Ich möchte nicht werten. Um die Situation auch nur annähernd einordnen zu können, bräuchte es viel mehr Zeit und ein umfassenderes Wissen über die Menschen, das Leben und die Kultur in Jerusalem.
Wir biegen in eine schmale Gasse zwischen den Mauern. Hinter den Mauern wachsen Orangenbäume vor den Wohnhäusern. Links führt eine Treppe zu Ruths Wohnung hinauf. Sie deutet auf die Fenster beim Treppenaufgang. „Die Fenster dort unten gehören zur Synagoge. Wir leben direkt über der Synagoge, das ist hier nichts Seltenes“.
Durch eine grosse Türe aus Metall treten wir ein in einen luftigen, offenen Raum, der Wohnzimmer, Esszimmer und Küche umfasst. Eine Wohnung wie aus „Schöner Wohnen“. Sehr stilvoll und modern eingerichtet. 3 bis 4 Mal im Monat öffnet Ruth ihre Wohnung für Gäste aus aller Welt. „Shuk and Cook“ heisst Ihr Konzept. Erst wird auf dem Markt eingekauft, dann gemeinsam gekocht und schliesslich in geselliger Runde das köstliche Essen bei netten Gesprächen und gutem israelischem Wein genossen. Für ihre Gäste ist das ein spannender Einblick in israelische Normalität.
Dieser so ganz andere Blick auf ein normales Jerusalem versöhnt mich ein wenig mit all dem Fanatismus, den entrückten Menschen, die dieser spannenden Stadt einen für mich befremdlichen Touch geben. Jerusalem kann auch ganz normal!
Jerusalem hat auf seine Art mein Herz berührt. Einordnen kann ich das Gesehene nicht wirklich. Aber ich würde jederzeit wieder nach Jerusalem reisen. Jerusalem fasziniert mich auf seine ganz eigene Art. Die Last einer Jahrtausende alten Geschichte ruht spürbar auf den Schultern dieser Stadt. Während Tel Aviv, nicht mal eine Autostunde von Jerusalem entfernt, durch seine Leichtigkeit begeistert, scheint Jerusalem das genaue Gegenstück zu sein. Jerusalem ist wahrlich keine leichte Kost. Kontrastreicher kann eine Reise nach Israel kaum sein.
Mit nachdenklichen Grüssen,
Weitere Infos :
Das Erlebnis „Shuk and Cook“ mit Ruth Yudekovitz kann über Kuoni im Reisebüro gebucht werden.
Offenlegung: Dieser Artikel ist im Rahmen einer Pressereise entstanden, zu der ich von Kuoni eingeladen war.
3 Antworten
Zwei Gedichte als Aufruf zum Frieden in Israel, Palästina und weltweit! ☮️
JERUSALEM
Stadt mit langer Geschichte,
Jeden Tag im Rampenlichte;
Von drei Religionen verehrt,
Ist sie steter Unruheherd.
Für Moslem, Jude und Christ
Die Stadt heiliger Ort ist.
Dem gleichen Gott gilt ihr Gebet,
Ein Gott, der für die Liebe steht.
Da sollte doch hier auf Erden
Nun endlich Friede werden;
Christen, Muslime und Juden
Nicht länger sinnlos verbluten.
Der Tempelberg muss Stätte sein,
Wo Menschen kommen überein.
Felsendom und Klagemauer
Brauchen Frieden auf Dauer.
David’s und Jesus‘ Christus‘ Stadt,
Die Mohammed beherbergt hat;
Erwartet jetzt einfach Taten
Hin zur Hauptstadt zweier Staaten.
Israel und Palästina,
So weit entfernt und doch so nah;
Es ist nun wirklich an der Zeit,
Zu beenden Terror und Leid.
FRIEDEN UND FREIHEIT
Spielet lieber die Gitarre,
Als zu tragen eine Knarre.
Lasst die weißen Tauben fliegen,
Aggression und Hass besiegen.
Für die Zukunft des Planeten,
Weg mit den Atomraketen;
Ende der Waffenexporte,
Abrüstung an jedem Orte.
Die Menschen legen ab den Neid,
Die Religionen ihren Streit.
Fromme und Heiden sind vereint,
Uns’re Sonne für alle scheint.
Keiner ist des Anderen Knecht,
Für alle gilt das Menschenrecht.
Jeder kann glauben, was er will,
Frieden und Freiheit unser Ziel.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen
Lieber Herr Kirmse
Wie wunderbar trefflich Sie das in Worte gefasst haben!
Mir laufen die Tränen.
Wenn die Menschheit doch nur mit Vernunft und Herzenswärme – mit Menschlichkeit – gesegnet wäre.
Herzliche Grüsse
Ellen Gromann
Liebe Frau Gromann,
Ich bin ganz Ihrer Meinung!
Für die Zukunft der Menschheit und des Planeten müssen Vernunft und Menschlichkeit siegen, dass nicht Gewalt und Umweltzerstörung den Globus unbewohnbar machen.
Ich sende Ihnen nochmal ein paar kritische Gedichte und wünsche Ihnen weiterhin viel Freude beim Reisen,
in einer hoffentlich bald friedlichen Welt mit glücklichen Menschen,
gesundem Klima und intakter Natur.
GEDANKEN ZUR ZEIT
Wir schau’n auf eine Krise,
Die den Erdball heimsucht.
Keine Spur vom Paradiese,
Millionen sind auf der Flucht.
Kriege überzieh’n die Welt,
Der Terror ist omnipräsent.
Neue Religion ist das Geld,
Man konsumiert permanent.
Profitmaximierung ist Pflicht,
Börsenkurse steh’n im Fokus.
Die intakte Natur zählt nicht,
Umweltschutz in den Lokus.
Banken scheffeln Milliarden,
Bei Mißerfolg hilft der Staat.
Wir seh’n riskante Spielarten,
Man will die Ernte ohne Saat.
Die westliche Lebensweise
Bringt den Planeten in Not.
Zu Ende geht’s mit dem Eise,
Die Klimakatastrophe droht.
Ein Umdenken muss kommen,
Setzen wir auf den Verstand;
Die Heiden und die Frommen,
Die Religionen Hand in Hand.
FÜR DEN BLAUEN PLANETEN
Der Mensch, dieses kluge Wesen
Kann im Gesicht der Erde lesen.
Er sieht die drohende Gefahr,
Spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
Homo sapiens muss aufwachen,
Seine Hausaufgaben machen.
Der Handel mit Emissionen
Wird unser Klima nicht schonen.
Weg vom ewigen Wachstumswahn,
Braucht es einen weltweiten Plan.
Das oberste Gebot der Zeit
Muss heißen Nachhaltigkeit.
Kämpfen wir für Mutter Erde,
Dass sie nicht zur Wüste werde.
Retten wir uns’ren Regenwald,
Gebieten der Kohle Einhalt.
Statt nur nach Profit zu streben,
Im Einklang mit der Natur leben.
POEM FOR MOTHER EARTH
The earth is our mother,
We will not have another.
There’s no better place to find
For animals, plants, mankind.
Green woods, beautiful lakes,
Nature has got what it takes.
We have to keep clean the air,
As environment everywhere.
Put an end to coal mining,
Nuclear power and fracking.
Climate concerns all nations,
Just as plastic in the oceans.
For good living day and night
Must change darkness and light.
Our planet, so wonderful blue,
We will always protect, we do!
PLASTIKOZEAN
Es treiben Müllinseln auf den Wellen
Nicht nur vor Antillen und Seychellen.
Des Meeres Flora und Fauna Idyll
Ist ausgesetzt unserem Plastikmüll.
Was wir achtlos in die Umwelt geben,
Bedroht der Tiefsee fragiles Leben.
Es findet die grausige Kunststoffpest
Ihren Weg in jedes Korallennest.
In der Entwicklung Millionen Jahren
Trotzten die Fische allen Gefahren.
Oktopus und Wal, jedes Meerestier
Lebte einst wahrhaft paradiesisch hier.
Der Mensch im ungebremsten Plastikwahn
Bringt nun das Ökosystem aus der Bahn.
Hat Homo sapiens noch kluge Ideen,
Oder müssen die Fische an Land geh’n?
DAS LEID DER TIERE
Uns’re Tiere haben’s schwer,
Man behandelt sie nicht fair.
Ein Mensch, wie stolz das klingt,
Der großes Leid den Tieren bringt.
Geflügelknast und Schweinemast
Sind Quälerei und Umweltlast.
Kükenschreddern ist das Wort
Für grausamen Massenmord.
Tiertransporte sind Tortur,
Von Mitgefühl keine Spur.
Tiere als Versuchsobjekt,
Vor nichts wird zurückgeschreckt.
Man fragt nicht nach der Tiere Befinden,
Profit zählt, das Tierwohl steht ganz hinten.
Bringen wir in ein dunkles Kapitel Licht,
Dem Tierschutz Gewicht, beim Fleisch Verzicht.
Heraus die Tiere aus den Verliesen,
Für ein bisschen Freiheit in den Wiesen.
UNSER WALD IN NOT
Vielen Tieren Lebensraum,
Für den Sauerstoff ein Quell,
Für gesundes Klima essentiell;
Das ist unser Freund, der Baum.
Ohne Bäume in Wald und Flur
Wär die Erde ein öder Planet nur.
Wir sehnen uns nach diesem Grün,
Der Zeit, wenn wieder Bäume blüh’n.
Wir wollen wandeln durch Alleen,
Das Blätterdach so wunderschön.
Profitgier lässt die Wälder schwinden,
Fördert weltweit Umweltsünden.
Die grüne Lunge des Planeten
In Gefahr, da hilft kein Beten.
Zu viele Buchen und Eichen
Mussten schon der Kohle weichen.
Retten wir den heimischen Wald,
Bewahren die Artenvielfalt.
Mit jedem Baum der sinnlos fällt,
Wird etwas ärmer uns’re Welt.
Wenn’s mit dem Wald zu Ende geht,
Stirbt letztlich der ganze Planet.
Damit nicht wahr wird böser Traum,
Gilt’s zu kämpfen für jeden Baum.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen