Medellin, der Name alleine löst bei den Meisten auch heute noch ein rasantes Kopfkino von bewaffneten Gangs, von Mord und Totschlag aus. Die Reaktionen, wenn wir davon erzählen, dass wir in Medellin waren, sprechen Bände!
Wirklich abenteuerlich und grenzwertig gefährlich ist lediglich unsere Reise auf der Panamericana von der Kaffeezone, über die Anden nach Medellín. Hier schieben sich unzählige dicke Lastwagen die Strasse über die Berge rauf und runter. Dazwischen sitzen wir im Kleinbus, mit unserem Fahrer, mit südamerikanischem Temperament. Immer auf dem Sprung zum Überholen, was uns einige Schrecksekunden beschert. Dazu vor uns immer wieder Kinder und Jugendliche, die sich hinten auf die Lastwagen stellen, oder mit ihren Fahrrädern anhängen, um sich den Berg hinauf ziehen zu lassen. Meine Handflächen sind schweissnass. „Schaut euch das bitte nicht ab, Kinder!“
Abgesehen davon ist es eine abwechslungsreiche Fahrt, auf der wir viel von diesem vielfältigen Land sehen. Immer wieder fasziniert uns dieses satte, unendliche Grün in einer Höhe, auf der bei uns schon längst kein Baum mehr wächst. Nach etwa 250 km, aber 9 Stunden Fahrt, haben wir es endlich geschafft. Vor uns, in einem Talkessel, erscheint zu unserer Erleichterung endlich Medellín. Rund um den Talkessel klettert die Stadt die zahlreichen Bergflanken rauf.
Im Stadtteil Poblado
Wir beziehen im Stadtteil Poblado unser Quartier im Art Hotel Medellín. Ein modernes, schickes Stadthotel und idealer Ausgangspunkt für unsere Stadterkundungen. In Hotelnähe befindet sich ein kleiner Park, der Parque Lleras, um den herum sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Restaurants scharen. Im Ecklokal Divino Cielo essen wir eine Kleinigkeit. Wie so häufig, freut sich auch hier die Bedienung über die Familie aus Europa, die sich für ihr Land interessiert. Ein schönes Gefühl, so offensichtlich willkommen zu sein. Die Atmosphäre um den Park ist entspannt. Wir fühlen uns sicher und wohl dabei alleine mit den Kindern die Gegend zu erkunden.
Medellín vom Schreckgespenst zur Vorzeigecity
Wir lassen uns am nächsten Tag Medellín von einem City-Guide zeigen. Leider haben wir nur einen vollen Tag in der Stadt. Da ergibt es durchaus Sinn, sich einem Einheimischen anzuvertrauen. Juan spricht fliessend Deutsch. Er hat ein Jahr in Heidelberg gelebt und Deutsch gelernt. Er schwärmt von seiner Zeit in Baden-Württemberg. Trotzdem lebt Juan sehr gerne in Medellín, erfahren wir. „Medellín ist zum Leben die beliebteste Stadt in Kolumbien“, sagt er. „Die Menschen leben heute sehr gerne hier“. Das spürt man auch als Tourist.
Juan nimmt uns an die Hand und zeigt uns die mit rund 2,7 Mio. Einwohnern zweitgrösste Stadt Kolumbiens.
In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hatten Drogenkartelle, Guerillagruppen und Paramilitärs die Stadt im Griff. Mord war hier an der Tagesordnung. Besonders in den Armenvierteln. Heute ist das ganz anders!
Comuna 13 – Wo früher Mord und Totschlag herrschte
Die Comuna 13 ist so ein Armenviertel. In den 90er Jahren war dies das gefährlichste Viertel der Stadt, vom organisierten Verbrechen kontrolliert. Nicht einmal die Polizei oder das Militär hatte sich hier hineingetraut. Genau dort führt uns Juan als Erstes hin. Am Eingang der Comuna begeistern uns, wie an so vielen Orten in Kolumbien, die farbenfrohen Graffiti an Mauern und Wänden.
Anfangs blicken wir uns schon noch ein wenig unsicher um. Juan versichert uns aber, dass wir keine Angst haben müssen. Eine riesige, blutige «Säuberungsaktion» des früheren Präsidenten Alvaro Uribe hat für «Ordnung» gesorgt. Operation Orion hiess die 2 Tage dauernde Militäroffensive im Jahr 2002. Auch viele Zivilisten fielen dieser Säuberungsaktion zum Opfer, zumindest inoffiziell. Ihre Leichen wurden nie gefunden und ohne Leichen gibt es auch kein Verbrechen, das verfolgt werden kann…
Verschiedene Sozialprojekte führten in der Folge zu einer Aufwertung des Stadtviertels bzw. seiner Einwohner. Schulen und Kindergärten wurden errichtet, und die ehemals 350 Treppenstufen, die den Berg der Comuna 13 hochführten, wurden im Jahr 2012 durch mehrere überdachte Rolltreppen (übrigens made in Switzerland) ersetzt.
Die Menschen der Comuna 13 können nun problemlos zur Arbeit in die Stadt gelangen und am Abend wieder den Berg rauf. Auch wir nutzen die überdachten Rolltreppen. Unser anfängliches Unbehagen löst sich bald. Die Menschen grüssen uns, winken uns zu.
Touristen sind auch hier offensichtlich gerne gesehen. Das Viertel wirkt friedlich. Kinder spielen auf der Strasse, Hunde werden spazieren geführt, Frauen gehen einkaufen. Das Leben geht seinen Gang.
Santo Domingo ein ehemaliges Problemviertel
Unsere nächste Station ist Santo Domingo oder auch Comuna 1 genannt. Ein weiteres ehemaliges Problemviertel. Wir fahren mit der modernen U-Bahn bis zur Luftseilbahn.
Bequem und leise gleiten wir in der Gondel über die Dächer der wild zusammengewürfelten Ziegelhäuser den Berg hinauf.
Man grüsst sich in der Bahn und oben angekommen macht das Viertel fast schon einen dörflichen Eindruck. Kinder spielen nach der Schule in den Strassen. Die grosse, moderne Bibliothek überragt das ganze Viertel. Ihr Bau hatte im Vorfeld für viel Aufregung in der Bevölkerung gesorgt. „Es gäbe doch sicher weit wichtigere Dinge als eine Bibliothek mitten im Armenviertel“, so die Meinung der Kritiker. Heute verbringen aber viele Kinder des Quartiers ihre Nachmittage, unter der Aufsicht von Sozialarbeitern, in der Bibliothek. Es gäbe sicher dümmere Orte für eine Bibliothek als in einem Armenviertel …
Nach einem kleinen Rundgang fahren wir mit der Seilbahn wieder runter in die Stadt.
Der St. Antonio Platz – vom Unsinn der Gewalt
Auf dem St. Antonio Platz im Stadtzentrum wird uns der Schrecken der Gewalt, die noch vor wenigen Jahren die Stadt regiert hat, ganz plakativ bewusst. Hier steht eine riesige, zerfetzte Friedenstaube aus Bronze.
Die Statue des Künstlers Fernando Botero, einem berühmten Sohn der Stadt, wurde während eines Musikfestivals durch eine Bombe zerrissen, während die Menschen ausgelassen feierten, Salsa tanzten. Nicht nur die 5 mm starken Metallwände der Statue wurden dabei förmlich in Fetzen gerissen. Dreissig, vorwiegende junge Menschen verloren dabei auf grausame Weise ihr Leben. Eine Tafel erinnert an die Opfer dieser entsetzlichen Tat. Der Täter wurde nie gefunden.
Fernando Botero schenkte der Stadt eine neue Taube, unter der Auflage, dass die Zerstörte als Mahnmal weiter an ihrem Platz bleibt.
Boteros Skulpturen auf der Plaza Botero
23 Figuren des kolumbianischen Künstlers sind in Medellín verteilt. Fernando Botero hat sie allesamt seiner Heimatstadt geschenkt.
Auf der Plaza Botero, vor dem Museum von Antioquia, staunen wir über den grossen Skulpturenpark mitten in der Stadt. Auch hier geht das Leben seinen Gang mit ansteckender, südamerikanischer Gelassenheit.
Pueblito Paisa ein traumhafter Blick über Medellín
Wir schlendern noch ein wenig durch die Fussgängerzone und fahren dann hoch zum Pueblito Paisa. Hier wurde ein typisches Dorf aus dem Umland von Medellín nachgebaut. An sich nichts Besonderes, ein paar Häuser, in denen Souvenirs verkauft werden, eine Kirche und ein paar Stände mit leckeren Früchten.
Was allerdings wirklich besonders ist, ist die umwerfende Aussicht von dort oben, über die Stadt und die umliegenden Berge. Medellín so ganz anders als erwartet und befürchtet. Eine entspannte Stadt.
Unser Fazit für Medellín
Die Stadt des ewigen Frühlings hat uns begeistert. Sie lebt, pulsiert, und ist an vielen Stellen fröhlich und frisch.
„Medellín, todos por la vida!“ „Medellín, alles für das Leben!“ Der Slogan steht sinnbildlich für den Wandel, den die Stadt vollzogen hat. Von der ehemals gefährlichsten Stadt der Welt, zu einem Ort, an dem die Menschen gerne leben und der auch für Touristen sehens- und erlebenswert ist.
Es lohnt sich immer wieder Vorurteile über Bord zuwerfen und sich einen Eindruck darüber zu verschaffen, wie die Wirklichkeit aussieht. Unsere Welt verändert sich. Leider sehr häufig in eine negative Richtung– zuweilen gelingt es aber auch, aus einer vermeintlich ausweglosen Situation zu entkommen und einen positiven Wandel zu vollziehen. Sicherlich, die Mittel, mit denen dieser Wandel eingeleitet wurde, können diskutiert werden …
Medellín ist heute ein Ort, der wohltuend Hoffnung und Zuversicht verströmt. Ein Ort, den es zu entdecken lohnt und an dem wir uns als Familie sehr wohlgefühlt haben.
Hoteltipp für Medellín:
Art Hotel Medellin : Schickes, modernes Boutique-Hotel im Stadtteil Poblado.
Ganz in der Nähe befinden sich zahlreiche Bars und Restaurants. Hier können wir das Restaurant Divino Cielo am Parque Lleras empfehlen.
Schon gewusst?
6 Antworten
Respekt Ellen, ich finde es toll, wie du Vorurteile über Bord wirfst und damit großartige Erfahrungen machst. Bestimmt war es für die Kinder auch eine mega interessante Stadtführung durch Medellin. Die Graffitis sehen toll aus wie auch die restlichen Bilder. Schön ist es auch mal von so einer „Erfolgsstory“ zu lesen. Es ist toll für die Menschen dort, dass ein Wandel von Gewalt und Drogen zu Friedfertigkeit und Zuversicht geschieht. Vielen Dank für die informative und lesenswerte Sonntagslektüre!
Liebe Sabine
Danke für Deinen super lieben Kommentar! Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich darüber freue.
Das war es, was uns alle beeindruckt hat, dieser überaus positive Wandel. Wir brauchen alle viel mehr Geschichten voll Hoffnung und Zuversicht. In dieser Zeit ganz besonders.
Lieber Gruss,
Ellen
Liebe Ellen,
eure Bilder vermitteln so richtig, dass ihr eine grandiose Zeit in Medellin verbracht habt! In ein paar Wochen geht es für mich auch nach Kolumbien und ich freue mich besonders auf Medellin. Jetzt sogar noch mehr (die Streetart sieht einfach unglaublich aus). Habe schon so viel Gutes über die Stadt gehört!
Liebe Grüße aus Panama
Marie
Sehr toll geschrieben! Ich habe auch gerade erst Kolumbien 2 Monate lang bereist und ich muss sagen, die Menschen hier sind so super freundlich, da könnte sich Deutschland durchaus mal eine Scheibe von abschneiden. Ich finde es wirklich toll, wie sich das Land gewandelt hat!
Finde die Stadt grade wegen der alten Geschichte so interessant aber echt schöner Bericht 🙂
Lieben Dank für das Lob. Das freut mich sehr!
Ja, Medellin ist sehr spannend!
Liebe Grüsse
Ellen