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Warum ausgerechnet Russland?

Roter Platz Moskau mit Vasilius Kathedrale
Nach einer Pause von fast dreissig Jahren, habe ich mich wieder auf den Weg nach Russland gemacht. Russland hat sich extrem verändert - und doch bleiben manche Dinge immer gleich. Ein sehr persönlicher Blick auf das grösste Land der Erde.
Inhalt

Anfang der neunziger Jahre war ich das letzte Mal in Russland. Damals befand sich das Land im Aufbruch und eine positive Stimmung war überall zu spüren. Man hatte plötzlich Anschluss an den Rest der Welt. Die ersten Touristen kamen und ich erinnere mich nur allzu genau daran, mit welch offenen Armen ich damals empfangen wurde. Ich war mitten im Studium und neugierig darauf, ein Land kennenzulernen, das so unglaublich weit weg schien.

1991 führte mich meine erste Russlandreise über Moskau auf die Krim, die zu dieser Zeit noch Teil der UdSSR war. Bei russischen Rentnern hatte ich ein Zimmer bekommen, das ich mir mit einer anderen Studentin teilte. Manche Reisen bleiben in Form von Liedern in meinem Gedächtnis haften. Diese Reise hat sich in Form eines Wortes in mein Gedächtnis und mein Herz geschlichen: „Druschba“ (Дружба), Freundschaft! Das war das Wort, das im Zug im Gespräch mit gleichaltrigen Russen und Ukrainern immer wieder fiel. Das war das Wort, mit dem wir uns zugeprostet haben und das den Wodka etwas süsser hat schmecken lassen. Druschba!

Die zweite Reise, 1992, führte mich ganz in den Osten, bis nach Sibirien, an den Baikalsee. Eine Gegend, die sich in mein Herz gebrannt hat. Und auch diese Reise war begleitet von Menschen, die offen waren und voller Neugier. Menschen, die sich freuten, dass ich mich für sie und ihr Leben interessierte. Menschen, die wissen wollten, wie es so ist, bei uns im Westen. Unvergesslich bleiben mir die Wanderungen durch die sibirischen Wälder, begleitet von zwei bewaffneten Jägern, die uns vor Bären schützen sollten. Beide vom Volk der Ewenken, eine der zahlreichen ethnischen Volksgruppen in Russland. Mit ihnen sass ich in ihrer Jurte aus Baumrinde mitten im Wald. Wir sassen auf Rentierfellen und tranken gemeinsam Tee.

Ewenke Jurte
Der Ewenke führte uns durch die Taiga. In seiner Jurte aus Baumrinden machten wir Rast.
Ellen am Lagerfeuer in einer Jurte
Der Tee wurde in einem grossen Kessel auf dem Feuer zubereitet

Reiseleiter Viktor lud uns in sein bescheidenes zu Hause in Nischneangarsk ein, ganz im Norden des Baikalsees. Das Haus bestand im Wesentlichen aus zwei Zimmern, die sich die vierköpfige Familie mit der Grossmutter teilte. Als wir eintrafen, türmte sich auf dem einfachen Holztisch im Garten bereits ein grosser Berg Blinis (Pfannkuchen) und eine riesige Schüssel warmer Blaubeermarmelade, zubereitet aus Blaubeeren, die seine Mutter zuvor extra für uns gesammelt hatte.

Zu Gast in Viktors Garten
Bei Viktor im Garten Im Jahr 1992

Ich erinnere mich an den Bankdirektor, der vermutlich nicht allzu oft in seinem Leben westliche Devisen gesehen hat. Er bat mich in sein Büro, zog einen Bündel Rubelscheine aus seiner Hosentasche und wechselte mir meine U.S. Dollars. Ich sollte Dollars mitnehmen, hatte man mir damals geraten. In Moskau war man überall ziemlich scharf darauf, aber hier, in dieser Gegend fernab von allem, konnte niemand etwas mit Dollar anfangen – ausser dem Bankdirektor…

Diese zweite Reise ist mir als Geschmack in Erinnerung geblieben. Die Süsse der Blaubeermarmelade. Russland hatte mich ein zweites Mal mit offenen Armen empfangen und mir einen Blick in seine unergründliche Seele gewährt.

Fast dreissig Jahre lang ist Russland danach von meinem Reiseradar verschwunden. Warum, das  kann ich selbst nicht genau sagen. Vielleicht war es das Geld, das mir als Studentin zum Reisen fehlte. Vielleicht waren es politische Wirren und später sicher auch die Geburt meiner Kinder, die Russland irgendwo in eine Ecke ganz weit hinten in meinem Herzen verbannt haben. Ganz weg war sie aber nie, die Sehnsucht nach diesem unergründlichen Land.

Jetzt hat sich mir die Gelegenheit geboten, nach langer Zeit wieder einmal nach Russland zu reisen. Meine Vorfreude war riesig!

14 Tage mit dem Schiff, Thurgau Karelia, von Moskau bis zu den Solowezki Inseln im Weissen Meer und von dort bis nach St.Petersburg. Eine sehr ungewöhnliche Reise, die in dieser Form noch nie zuvor stattgefunden hatte und die mich in Gegenden bringen sollte, die bis heute wohl nur wenige Mitteleuropäer bereist haben.

Russlands Weite im Abendrot
Russlands Weite im Abendrot

3000 Kilometer, durch 13 Schleusen, ein Kanal, der unter grauenvollen Bedingungen unter der Herrschaft Stalins gebaut wurde, die zwei grössten Seen Europas und zwei aufregende Städte liegen hinter mir. Ich habe unendliche Weiten gesehen, endlose Wälder, bedrückende Massengräber im Wald, Kirchturmspitzen, die aus Seen ragen und unzählige Kirchen, die eine Zeit überstanden haben, in der sie eigentlich gar nicht existieren durften. Ich habe verträumte Dörfer und eine beklemmende Industriestadt gesehen – und wie bereits die beiden Male zuvor, hat mich die russische Seele berührt und gleichzeitig auch ratlos gelassen.

Rauchende Fabrikschlote am Flussufer
Aber es gibt auch diese Seite

Wer den Russen zum ersten Mal begegnet, wird sie vermutlich als abweisend empfinden. Man lächelt sich beim ersten Zusammentreffen nicht gleich an. Wer sich dennoch auf sein Gegenüber einlässt, der wird in aller Regel eine sehr poetische Seite finden, der wird Menschen treffen, die ihn als Gast mit offenen Armen willkommen heissen, der wird eine leise Ahnung davon bekommen, was die „Russische Seele“ bedeutet. Wirklich fassen werden wir Westeuropäer sie aber wohl nie können. Russland und die Russen sind so anders. Darauf muss man sich einlassen.

Gastfreundschaft in Russland
Gastfreundschaft wird in Russland grossgeschrieben

Von der damaligen Aufbruchsstimmung ist heute nichts mehr zu spüren. Der Kapitalismus mit all seinen Schatten- und zweifelsohne auch Sonnenseiten hat sich längst ausgebreitet. Die Beleuchtung der Geschäfte in den Städten ähnelt unseren. Die gleichen Logos und die gleichen Namen in den Schaufenstern der Läden – nur die Schrift ist anders.

McDonalds mit kyrillischer Beschriftung
Die gleiche Leuchtreklame wie überall. Nur die Schrift ist anders.

Es hat den Anschein, als hätten sich die Welten angenähert. Aber diese Aussage ist falsch. „Amerika und Europa“ haben sich in Russland eingenistet. Eine gegenseitige Annäherung bedeutet aber üblicherweise, dass jede Seite einen oder mehrere Schritte auf die andere Seite zugeht und dabei versucht das gegenüber kennenzulernen und zu verstehen. In der Beziehung zwischen „dem Westen“ und Russland ist diese Annäherung grösstenteils eine einseitige geblieben. Zumindest in gesellschaftlicher Hinsicht. Wir haben uns vermutlich einfach nicht genügend Mühe gegeben, Russland besser zu verstehen. Es gibt sehr vieles, das man verurteilen kann, hüben, wie drüben. Es gibt zudem (erschreckend) viele Parallelen zwischen den Grossmächten und doch driftet die Welt scheinbar auseinander. Aber ich möchte hier keinen politischen Diskurs führen!

Ich sehe, zumindest auf russischer Seite die jungen Russen, die offen sind und neugierig. Ich sehe, wie wichtig der Dialog ist und der Versuch sich zu verstehen. Ich sehe liebenswürdige Menschen, traumhafte Landschaften und ein Land, das auf viele Arten das Herz berührt.

Dorleben Russland
Auf dem Land lebt man noch ganz einfach

Meine Russlandreise hat noch kein Wort und auch noch keinen eindeutigen Geschmack. Dafür muss ich die vielen Eindrücke erst noch reflektieren. Das werde ich auch hier auf dem Blog tun und Euch mitnehmen auf diese aussergewöhnliche Reise. Vielleicht kann ich hier meinen Teil dazu beitragen, Euch Russland ein wenig näherzubringen.

Russland ist definitiv eine Reise wert, oder auch zwei, oder drei – oder noch mehr.

Ich werde ganz sicher keine (fast) dreissig Jahre mehr verstreichen lassen, bis ich wieder komme und das ist in diesem Falle nicht nur meinem Alter geschuldet. Russland hat mein Herz wieder berührt. Es hat die Flamme, die irgendwo schlummerte, wieder entfacht und in Gedanken bin ich schon am Pläne schmieden.

Mit sonnigen Grüssen
Eure Patotra

Nachtrag: Wir schreiben das Jahr 2023 und ich bin entsetzt über die schreckliche Entwicklung. Ich bin ratlos. Die Bilder von den sinnlosen Massengräbern im Wald kommen immer wieder hoch. Warum???

Wer schreibt hier?
Ellen Gromann-Goldberg

Hallo! Ich bin Ellen. Ich bin die Gründerin von PATOTRA, Content-Creator und freie Journalistin. Ich liebe das Meer und kleine Inseln. Aber auch die Berge, die Wüste, der Dschungel und Grossstädte können mich begeistern. Begegnungen mit Menschen sind für mich der Schlüssel zu anderen Ländern und deren Kultur. Nachhaltige Projekte liegen mir dabei ganz besonders am Herzen. Meine grossen Leidenschaften sind: das Reisen, das Schreiben und das Fotografieren.

Im Jahr 2014 entstand PATOTRA als reiner Familienreiseblog. Gemeinsam mit meinen drei Kindern und meinem Mann durfte ich viele tolle Nah- und Fernreisen erleben, die sich hier auf dem Blog in Form von Reiseinspirationen und Reisetipps wiederfinden. Aus den Reisen mit Kindern wurden im Laufe der Jahre Reisen mit Teenagern. Schliesslich ist der Blog, gemeinsam mit meinen Kindern, den Kinderschuhen entwachsen. Mittlerweile reise ich meist gemeinsam mit meinem Mann – oder auch mal alleine.

Mit viel Herz und ansprechenden Reisefotografien möchte ich Euch ermutigen, diese Welt selbst und mit offenen Augen zu entdecken. Mein Fokus liegt auf spannenden Geschichten, traumhaften Landschaften und Begegnungen mit Menschen. Manchmal bringe ich Euch den Geschmack der grossen, weiten Welt auch in Form von Rezepten von meinen Reisen mit.


Offenlegung: meine Reise mit der Thurgau Karelia fand auf Einladung von Thurgau Travel statt. Meinen Meinung bleibt davon unberührt


12 Antworten

  1. Ja, ich bin großer Russlandfan, ich war viermal dort, Transsib, Karelien, im Kaukasus und zuletzt bei der WM.

    Bei den 3 ersten Reisen ging mein Eindruck zur Freundlichkeit der Russen jeweils ein Stück bergab, aber nach einer Pause bis 2018 dann schlagartig wieder bergauf, mittlerweile kann jeder junge Russe Englisch, was die Kommunikation erheblich erleichtert.
    Ich werde sicher bald wieder hinfahren.

    1. Lieber Christian
      Dann habe ich ja fast Glück gehabt, dass ich ein paar Jahre ausgesetzt habe.
      Ja, viel junge Russen sprechen zumindest ein wenig Englisch. Das macht die Kommunikation wesentlich einfacher. Wobei ich merke, dass man sich sehr freut, wenn man ein wenig russisch spricht und es macht das Reisen schon einfacher, wenn man die Schrift entziffern kann. Viele scheuen sich leider davor, das zu lernen, dabei ist grade die Schrift gar nicht so kompliziert.
      Liebe Grüsse
      Ellen

  2. Liebe Ellen
    Deine Bilder aus den 90er Jahren sind wunderbar. Der Gartentisch vor der Datscha mit den Blinis (und eure bunten, weit geschnittenen T-Shirts) – köstlich 🙂 ! Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sich auf dem Land gar nicht so viel verändert hat. Solche Häuser haben wir doch auf unserer Reise einige gesehen… Liebe Grüsse von deiner Schiffskameradin! Barbara

    1. Ahoi, liebe Barbara
      Dabei habe ich Euch die köstlichsten Bilder, die mit den bunten Batik Hosen aus Jersey-Stoff, noch vorenthalten…
      Auf dem Land hat sich wirklich nicht allzu viel verändert. Manchmal erschien mir unsere Reise tatsächlich wie eine kleine Zeitreise.
      Ganz liebe Grüsse
      Ellen

  3. Ich war auch 1992 das letzte Mal in Russland und hab so wie du auch das Reiseziel etwas aus den Augen verloren. Seit einiger Zeit steigt aber mein Interesse wieder. Mich interessieren einige aussergewöhnliche Gegenden wIe Kalmückien (die einzige buddhistische Region in Europa), Tuwa wegen den seltsamen Gesängen und natürlich Kamtschatka wegen den Vulkanen. Leider ist vieles nur mit sehr teuren Touren zu erreichen.

    1. Lieber Oli
      Oh ja, es gäbe noch so viele tolle Ziele in Russland. Kamtschatka wäre auch so ein Traum von mir. Aber Du hast Recht. Leider ist es noch immer schwierig in Russland auf eigene Faust zu reisen und die Touren, die Angeboten werden sind in aller Regel sehr teuer.
      Es wäre zu wünschen, dass sich da etwas ändert. Bestimmt würden dann viel mehr Menschen nach Russland reisen.
      Liebe Grüsse
      Ellen

      1. Ich habe kürzlich gelesen, dass Russland erwägt, die Visavergabe zu vereinfachten bzw. für einige Länder sogar ganz fallen zu lassen. In der Enklave Kaliningrad ist das ja vor einigen Wochen schon gesehen. Es ist gut möglich, dass dann manche Gegenden von Russland weniger exklusiv (und damit auch günstiger) werden, wenn mehr Leute ins Land reisen. Bin einmal gespannt, wie sich das entwickelt.

        1. Lieber Oli
          Das wäre ja mal eine gute Nachricht. Dann würde ich sicher öfter nach Russland reisen. Es gibt dort so viele tolle Ecken. Gerne würde ich mal wieder mit dem Zug durch Russland reisen. Am Liebsten bis zum Baikalsee – oder gleich noch weiter bis zur Halbinsel Kamtschatka. Das wäre ein Traum!
          Liebe Grüsse
          Ellen

  4. Sehr beeindruckender Bericht! Ich war in den 1980ern und 1990ern mehrfach in Russland (damals noch UdSSR) und fand es sehr schön. So nette Menschen! Ich mag auch die russische Sprache und die russischen Lieder sehr gerne. Doch dann hat mich China gepackt. Seitdem habe ich gar nicht mehr an Russland gedacht. Aber vielleicht sollte ich mal wieder hin. Dein Artikel macht Lust drauf!
    LG
    Ulrike

    1. Liebe Ulrike
      Ganz lieben Dank für Deine netten Worte. Das freut mich sehr.
      Hier fand ich die Aussage einer Russin sehr spannend: „wir sind von unserer Art her irgendwo zwischen Asien und Europa“
      Das hat durchaus etwas.
      Liebe Grüsse
      Ellen

  5. Liebe Ellen

    Es war eine wunderschöne (Pionier)-Reise von Moskau bis nach St. Petersburg, die Heinz und ich nie vergessen werden. Vor allem die seeeehr stürmische Überfahrt zu den Solowezki Inseln wird wohl immer in meinem Gedächtnis bleiben…! 🙂
    Wir planen bereits die nächste Reise mit der MS Thurgau Karelia im nächsten Jahr von Moskau bis zum kaspischen Meer.
    Liebe Grüsse und vielleicht bis irgendwann mal wieder!?
    Sonja

    1. Liebe Sonja
      Die Überfahrt hatte es wirklich in sich. Eine richtige „Weissmeertaufe“!
      Oh wie schön, dass Ihr wieder am planen seid. Das ist bestimmt auch eine sehr spannende Strecke.
      Ich würde mich freuen, wenn wir uns mal wieder sehen!
      Bis dahin wünsche ich Euch allzeit spannende und sichere Reisen!
      Liebe Grüsse
      Ellen

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