Die Tiroler Region Ausserfern liegt, wie ihr Name bereits sagt, isoliert. Sie ist nur über Bayern oder den Arlbergtunnel erreichbar. Innsbruck, die nächstgelegene Stadt, ist 90 Kilometer entfernt. Umso berauschender ist die Natur dieser vom Tourismus noch weitgehend verschonten Gegend – und mittendrin, am höchsten Ort der Zugspitzregion gelegen: das Relais & Château Hotel Singer in Berwang. Ein Vier-Sterne-Superior-Hotel mit dem Komfort eines Fünfsternehauses und dem Charme eines familiengeführten Hotels.
Die Wettervorhersage ist katastrophal. Ausgerechnet das Pfingstwochenende fällt ins Wasser. Meine Freude ist zugegebenermassen etwas getrübt, denn ich habe mich lange auf diese kleine Auszeit gefreut. Mit ausgedehnten Wanderungen und viel Zeit fernab des Schreibtischs. Naja, bekanntlich gibt es kein schlechtes Wetter, und so packen wir halt statt Dächlikappe und Sonnencreme Regenjacke und Wollpullover ein.
Da wir direkt nach der Arbeit losfahren, verzichten wir auf einen Zwischenhalt. Von Zürich aus dauert die Anreise rund drei Stunden – für ein verlängertes Wochenende gut machbar. Noch spielt das Wetter mit, und so erkunden wir gleich nach unserer Ankunft das Hotel, bevor wir es uns im Restaurant gemütlich machen. Und, was soll ich sagen? An diesem Abend beginnt der Zauber.
Nicht nur das Essen – das allabendliche 5-Gänge-Menü umfasst neben gehobener internationaler Küche auch regionale Leckereien wie Schlutzkrapfen, Kasspatzln und Palatschinken – ist fantastisch, auch der Service lässt unsere Herzen höherschlagen. Dafür verantwortlich: Herr Thomas, der eigentlich Thomas Rückhörmann heisst und mich an Mr. Carson erinnert, den Oberbutler aus der Fernsehserie «Downton Abbey». Seit 30 Jahren ist Herr Thomas um das Wohl der hiesigen Gäste besorgt. (Dass er für seine herausragenden Gastgeber-Qualitäten bereits international ausgezeichnet wurde, behält er, ganz Gentleman, natürlich für sich.) Er weiss nicht nur alles rund um Kulinarik und Wein, sondern hat auch einen feinen Sinn für Humor. «Eigentlich wollte ich nur eine Saison bleiben», erzählt er uns. Doch dann habe es ihm einfach zu gut gefallen. Und so seien es eben über 60 Saisons geworden. Früher habe er sich während der Zimmerstunde täglich die Ski angeschnallt – schliesslich liegen die Bergbahnen unmittelbar vor der Haustür. «Inzwischen lasse ich es etwas ruhiger angehen», sagt er augenzwinkernd.
Auch Tine Wartmann wollte eigentlich nur eine Saison in dem 360-Seelen-Dorf Berwang bleiben. Drei Jahre später ist sie zur Assistentin der Geschäftsführung aufgestiegen und führt uns am nächsten Morgen voller Stolz durch «ihr» Haus. Das Hotel Singer ist ein in dritter Generation familiengeführtes Hotel, das seit 2008 von Florian und Christina Singer geführt wird – wobei die nächste Generation schon in den Startlöchern steht: Die achtjährige Tochter des Paars, Leonie, läuft gerne mal mit dem Schild «Juniorchefin» durchs Haus. Die Geschichte des Hotels beginnt 1928 als Pension. Mittlerweile gibt es 62 Zimmer und Suiten, allesamt im eleganten Alpin-Chic. Die Suiten sind jeweils nach dem Berg benannt, auf den sie eine Aussicht bieten: Hönig, Thaneller, Almkopf, Sonnberg oder Roter Stein. Wir sind in der wundervollen Hönig-Suite untergebracht.
Einige Räume wie etwa die Sonnenstube zeugen mit ihren historischen Decken und Böden noch von den Anfängen des Hotels, sind aber im Laufe der Zeit modernisiert worden. «Wir befinden uns in einem steten Wandel», sagt Tine Wartmann. In der Tat verkörpert das Hotel Singer die perfekte Mischung aus Tradition und Moderne. Nicht zufällig gehört es zur exklusiven Hotelvereinigung «Relais & Châteaux», die sich durch höchste Standards in Gastfreundschaft, Kulinarik und Authentizität auszeichnet. Genau diese Kombination macht das Hotel Singer so besonders und unterscheidet es von vielen anderen Sternehotels: Es fehlt an nichts, und gleichzeitig fühlt man sich zu Hause und eben nicht in einem anonymen Luxusresort. Das liegt einerseits an dem individuellen Charakter des Hotels, andererseits an den rund 50 Mitarbeitenden, die jeden Gast herzlich willkommen heissen.
Das Wetter wird immer trüber, und so beschliessen wir, aus der Not eine Tugend zu machen und den restlichen Tag im Hotel-Spa zu verbringen – eine Wellnesswelt auf 1800 Quadratmetern. Neben einer Saunalandschaft, einem Dampfbad und einem Relax-Raum mit Kamin gibt es einen geheizten Pool, der Drinnen und Draussen verbindet. Während Wellnessbereiche oftmals unterirdisch und fensterlos sind, lässt das Singer-Spa so viel Tageslicht hinein, dass man hier guten Gewissens den ganzen Tag verbringen kann. Unser Zehnjähriger will gar nicht mehr aus dem Wasser herauskommen. Und wir? Geniessen eine gemeinsame Massage eine Etage höher.
Auch der Sonntag beginnt grau und regnerisch, und so buche ich spontan eine Kindermassage für Tim und eine Kopfmassage für mich. Dass man sich zu zweit im gleichen Raum verwöhnen lassen kann, macht die Behandlung zu einem verbindenden Erlebnis. «Schon vorbei?», fragt Tim nach 25 Minuten, und ich verspreche ihm, dass er nächstes Mal eine längere Massage bekommt.
Wie erhofft, klart das Wetter langsam auf. Da die Berge noch immer von Nebelschwaden umhüllt sind, beschliessen wir, dorthin zu fahren, wo die Geschichte des Hotels Singer einst ihren Anfang nahm. Denn wie uns Herr Thomas erzählt hat, gehörten dem Grossvater Singer früher drei Gasthöfe an den zwei nahegelegenen Seen, bevor er sie zugunsten des heutigen Hotels verkaufte. Es sind nur zehn Autominuten zum Heiterwangersee, der nahtlos in den Plansee übergeht. Wir können unser Glück kaum fassen: Sonne, türkisfarbenes Wasser und eine fast schon kitschige Bergkulisse erwarten uns.
Unser Sohn liebt geschichtsträchtige Gebäude, und so machen wir uns von den Seen auf zu den Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau, die etwa 40 Fahrminuten entfernt liegen. Doch wir kommen nicht weit: Schon bald entdecken wir hoch über uns eine spektakuläre Hängebrücke. Wir sind offenbar nicht die Einzigen, die sich ärgern, die Ausfahrt verpasst zu haben, denn es gibt extra eine ausgeschilderte Wendemöglichkeit! Die Schlösser sind vergessen. Wir kaufen Tickets für die Highline 179 – so heisst die Hängebrücke, weil sie über die Bundesstrasse B179 führt – und laufen etwa zehn Minuten bergauf durch einen Wald. Hier oben befindet sich nicht nur die 406 Meter lange Brücke (die es wegen ihrer Länge übrigens ins Guiness-Buch der Rekorde geschafft hat), sondern auch die Burgruine Ehrenberg.
Ich selbst ziehe es vor, die Hängebrücke aus sicherer Ferne zu betrachten. Doch es kommt noch schlimmer: Tim hat die schwindelerregende Seilbahn entdeckt, die zurück ins Tal führt. Bei mir werden Erinnerungen an unseren letztjährigen Besuch im Kletterpark Saas-Fee wach, wo er an einem Seil über dem Abgrund hing und ich vor Angst fast gestorben wäre (seine Reaktion damals: «Ach Mami, mach dir doch nicht immer solche Sorgen. Es war super!»). Ich will ihm den Spass nicht verderben, verabschiede mich und laufe zurück zum Parkplatz.
Unser Berwang-Glück ist noch nicht vorbei: Als wir am nächsten Morgen erwachen, scheint uns die Sonne ins Gesicht. Nach einem ausgiebigen Frühstück auf der Terrasse können wir endlich auch den Teil des Hotels entdecken, der uns bis jetzt verborgen geblieben ist: den 10’000 Quadratmeter grossen Relax-Garten mit Barfussweg, Bach und romantischen Leseecken. Und weil wir das Wetter unbedingt auskosten möchten, fahren wir mit der keine 200 Meter entfernten Sonnalmbahn in die Höhe und wandern zurück ins Tal.
Und dann heisst es leider schon wieder Abschied nehmen von dem Haus, das es auf einzigartige Weise schafft, zwei unschlagbare Qualitäten miteinander zu verbinden: den exklusiven Service eines Sterne-Hotels und den persönlichen Charakter eines familiengeführten Hauses. «Our heart, your holiday» lautet denn auch das Motto des Hotels. Das Herz spürt man.
Offenlegung: Rechercheeinladung.
Miriam kümmert sich seit Juli 2018 bei PATOTRA hauptsächlich um das Themengebiet Reisen mit Kindern.
«Als langjährige Journalistin ist es für mich selbstverständlich, mit Neugier und offenen Augen durchs Leben zu gehen. Doch nicht immer sieht man aus der eigenen Perspektive alles – und so bin ich glücklich und dankbar, dass mein Mann und meine Kinder (14 und 8 Jahre) meine Weltsicht erweitern.
Ich liebe es, neue Welten zu entdecken – seien sie nah oder fern. Low-Budget-Reisen durch Südostasien gehören für mich ebenso dazu wie ein Verwöhnwochenende in den Alpen. Wichtig sind mir vor allem zwei Dinge: Die Reiseorte müssen authentisch sein. Und: Sie müssen nicht nur mich und meinen Mann, sondern auch unsere Kinder begeistern.»