Pommern (Pomorze)  – eine sentimentale Reise auf den Spuren meiner Wurzeln

Ostsee in Polen
Die Reise in die Woiwodschaft (polnischer Verwaltungsbezirk) Pommern ist für mich eine Reise in meine eigene Geschichte und zu meinen Wurzeln. 
Inhalt

Meine Mutter wurde 1934 in dieser Region geboren. Ihre ersten 10 Jahre lebte sie im kleinen Dorf Ossecken, westlich von Danzig. Ich habe als Kind unzählige Geschichten von dieser Gegend gehört, von den schier endlosen Wäldern, durch die es mit der Kutsche zum weiten weissen Sandstrand ging. Dort verbrachte sie gemeinsam mit ihren Geschwistern oft den ganzen Tag. Am Strand am Meer. Die Sehnsucht nach dem Meer begleitete sie ihr Leben lang und sie wurde auch mir in die Wiege gelegt.

Meine Mutter (rechts) mit ihrer Mutter und Schwester in Ossecken

Einmal noch die alte Heimat sehen

Im Jahr 1998, also einige Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs, unternahm meine Mutter gemeinsam mit ihrem Bruder und meinem Vater eine Reise in die alte Heimat. Sie wollte meinem Vater unbedingt die traumhaften weissen Strände zeigen, die wunderschönen Wälder. Sie wollte, dass er versteht, wovon sie so oft sprach. Er verstand. Sie kamen begeistert von dieser Reise zurück. Begeistert von der Landschaft und ergriffen von der Freundlichkeit der Polen, für die Ossecken bzw. Osieki jetzt die Heimat ist.

Trotz allen Schreckens auf beiden Seiten, war da nie ein Groll oder ähnliches. Meine Oma, die ich nie kennengelernt habe, hatte während der Kriegsjahre polnische Arbeiter. Ich vermute mal, dass es Zwangsarbeiter waren, die während den Kriegsjahren helfen mussten den Gutshof weiter zu bewirtschaften. Viele Zwangsarbeiter erlebten Schreckliches. Sie wurden oft wie Tiere behandelt. Krieg ist grausam. Meine Oma hingegen kümmerte sich wohl immer gut um ihre Arbeiter. Sie sorgte dafür, dass sie ausreichend zu essen hatten und dass es ihnen, soweit möglich, an nichts fehlte. So erzählte es meine Mutter immer.

Krieg ist grausam – immer!

Als dann die Russen kamen und letztendlich kurzen Prozess mit der Familie machen wollten, stellten sich die polnischen Zwangsarbeiter schützen vor die Familie. Sie sagten: „Das sind gute Menschen, die müsst ihr gehen lassen“. Die Russen liessen meiner Oma und ihren 4 Kindern eine Stunde Zeit um zu gehen. Das Grauen der Flucht als 10 jähriges Kind – auch davon habe ich viel gehört. Es sind schreckliche Bilder, die mich wohl auch geprägt haben. Vor allem das Bild vom bösen Russen. 

Vielleicht habe ich damals genau deshalb mit dem Studium der Russischen Sprache angefangen. Es kann doch nicht sein, dass alle Russen böse sind. Tatsächlich hatten meine Eltern in späteren Jahren selbst gute russische Freunde. Dennoch hatte meine Mutter entsetzliche Angst, als ich Anfang der neunziger Jahre das erste mal nach Russland reiste. Wie erleichtert war sie, als ich zurück kam und sagen konnte, dass die Russen, denen ich begegnen bin, sehr nett waren. 

Krieg ist grausam und die aktuellen Entwicklungen lassen mich ratlos zurück. Krieg ist immer grausam! Ich habe von meiner Mutter auch immer wieder gehört „Ich verdanke den Polen mein Leben“.

Bei ihrer Reise in ihre alte Heimat war mein Mutter 64 Jahre alt. Merkwürdig, dass die Sehsucht, die Wurzeln zu kennen uns Menschen wohl unser ganzes Leben begleitet. Also habe ich mich auf den Weg gemacht, die traumhaften Wälder, die schier endlosen Sandstrände, die Dünen, die Ostsee und Osieki zu finden. 

Meine Eltern am Ostseestrand in Osieki im Jahr 1998

Die Orte aus den Kindheitserzählungen

Ich verlasse Danzig in Richtung Westen. Hier hat die Natur noch sehr viel Platz sich auszubreiten. Die schier endlose Weite, die riesigen Felder. Auch davon hat sie viel erzählt. Dann folgen die hübschen kleinen Dörfer. Alles unglaublich ordentlich und aufgeräumt. Vermutlich hat sich hier in den letzten 80 Jahren nicht allzu viel verändert.

Ich finde Osieki. Die Kirche, alles sieht noch genauso aus, wie auf dem alten Schwarzweiss Foto aus dem Album meiner Mutter. Nur der alte Gutshof scheint zu zerfallen. Die Kinder aus dem Dorf durften damals nicht mit den Kindern vom Gutshof spielen. Meine Mutter und ihre Geschwister durften aber dorthin, denn mein Opa war der örtliche Elektriker. Das war damals ein äusserst angesehener Beruf. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass das erste elektrische Licht Deutschland 1884 erreichte und dass sich die Elektrifizierung bis gegen Ende der 1950er Jahre hinzog.

der alte Gutshof in Osieki

Ich folge weiter den Spuren meiner Mutter, immer mit einer gewissen Sentimentalität. Wenn sie nur wüsste, dass ich jetzt auch mit eigenen Augen sehe, wie traumhaft die Wälder und die endlosen Strände an ihrer Ostsee sind.

Die reale Natur stimmt völlig mit dem Bild überein, dass sich in unzähligen Erzählungen in mein Herz graviert hat. Ich poste Fotos davon auf Instagram. Meine Tochter schreibt sogleich darunter: „Das sieht genauso aus, wie Oma es immer erzählt hat“.

Ich verdrücke mir eine Träne. Ist es, weil ich schon so viel davon gehört habe, oder weil ich hier so etwas wie meine Wurzeln habe? Die Landschaft, diese traumhaften Kiefernwälder, die hohen Dünen und der endlose, feine Sandstrand verzaubern mich. Ich könnte Stunden durch den Wald und am Meer entlang spazieren. Und das tue ich auch. Wie gerne würde ich dieses Erlebnis mit meiner Mutter teilen. Ich würde ihr gerne sagen, wie sehr ich ihre Sehnsucht jetzt verstehen kann und wie wunderschön das Land ihrer Kindheit ist. Und wie nett die Menschen sind, die mir in dieser Region begegnet sind. Doch leider kann ich ihr das nicht mehr erzählen. Aber ich trage es in meinem Herzen.

Wer schreibt hier?
Ellen Gromann-Goldberg

Hallo! Ich bin Ellen. Ich bin die Gründerin von PATOTRA, Content-Creator und freie Journalistin. Ich liebe das Meer und kleine Inseln. Aber auch die Berge, die Wüste, der Dschungel und Grossstädte können mich begeistern. Begegnungen mit Menschen sind für mich der Schlüssel zu anderen Ländern und deren Kultur. Nachhaltige Projekte liegen mir dabei ganz besonders am Herzen. Meine grossen Leidenschaften sind: das Reisen, das Schreiben und das Fotografieren.

Im Jahr 2014 entstand PATOTRA als reiner Familienreiseblog. Gemeinsam mit meinen drei Kindern und meinem Mann durfte ich viele tolle Nah- und Fernreisen erleben, die sich hier auf dem Blog in Form von Reiseinspirationen und Reisetipps wiederfinden. Aus den Reisen mit Kindern wurden im Laufe der Jahre Reisen mit Teenagern. Schliesslich ist der Blog, gemeinsam mit meinen Kindern, den Kinderschuhen entwachsen. Mittlerweile reise ich meist gemeinsam mit meinem Mann – oder auch mal alleine.

Mit viel Herz und ansprechenden Reisefotografien möchte ich Euch ermutigen, diese Welt selbst und mit offenen Augen zu entdecken. Mein Fokus liegt auf spannenden Geschichten, traumhaften Landschaften und Begegnungen mit Menschen. Manchmal bringe ich Euch den Geschmack der grossen, weiten Welt auch in Form von Rezepten von meinen Reisen mit.

4 Antworten

  1. Liebe Ellen, durch Zufall habe ich deine Blog und vor allem deinen Bericht über Pommern entdeckt. Du hast mir aus der Seele gesprochen! Auch meine Mutter wurde in Pommern geboren und die Familie musste im 2. WK flüchten. Auch ich möchte diese Reise in die Vergangenheit machen und mir Pommern anschauen. Dein Bericht hat diesen Wunsch nochmals verstärkt – vielen Dank dafür!

    1. Liebe Iris
      Ich kann das nur empfehlen. Es war wunderschön und ergreifend auf den Spuren der Erinnerungen meiner Mutter zu reisen.
      Herzliche Grüsse
      Ellen

  2. Hallo Ellen !
    Ich weiß gar nicht genau, was mich jetzt dazu treibt, hier einen Kommentar zu hinterlassen – habe ich noch nie irgendwo gemacht – aber das muss jetzt einfach sein !
    Und natürlich habe ich doch schon eine Ahnung, denn allein das Bild deiner Oma am Gartenzaun, mit den beiden Mädchen an der Hand, brachte mich zum Weinen. Das könnte auch meine Oma sein !
    Ich glaube, es gibt da draußen noch sehr viele (Frauen vor allem), die eine ähnliche Familiengeschichte teilen und mir zerreißt es immer wieder das Herz, wenn ich mir vorstelle, was es für die Generation unserer Eltern und Großeltern bedeutet haben muss, diese unfassbar idyllische Heimat zu verlassen. Eine Heimat, in der es anscheinend alles gab, wovon der Mensch gerne träumt – und ich meine nicht nur diese traumhaft weite Landschaft, sondern vor allem das gemeinschaftliche Lebensgefühl, das die Menschen dort über Dörfer und Generationen hinweg verbunden hat.

    Meine Mutter wurde in Ossecken getauft, meine Oma hat dort auf dem Gutshof gearbeitet und die Familien meiner beiden Großeltern und Urgroßeltern waren seit Generationen im ganzen Landkreis Lauenburg verteilt. Ich kenne also auch diese leidenschaftlichen Erzählungen von der verlorenen Heimat und dein Blog, liebe Ellen, hat mich jetzt wirklich nochmal innerlich gekickt sozusagen, doch auch einmal dorthin zu reisen und mich diesem überwältigenden Gefühl zu stellen, das meine Mutter sich bereits vor 20 Jahren einmal angetan hat. (Sie war 5 Jahre alt, als ihr Papa zuhause an seinen Kriegsverletzungen starb und die Familie kurz danach vom Hof gejagt wurde – ein Trauma, das sie bis heute begleitet !)
    Ich habe damals beschlossen, ihre Lebens- und Familiengeschichte aufzuschreiben und konnte glücklicherweise noch vieles dazu von meiner Oma erfahren, die sehr geweint hat, als ich ihr versprach, daraus ein Buch für meine Tochter zu machen. Und dass ich das tatsächlich geschafft habe, freut mich vor allem für meine Mutter, die heute noch immer gerne darin blättert.
    An meiner Oma habe ich sehr bewundert, dass sie trotz ihres schweren Schicksals (inklusive der bekannten Grausamkeiten, die ihr und ihren Schwestern damals angetan wurden), später immer noch lachen konnte.
    Sie war trotz allem immer noch (oder endlich wieder) lebensfroh im Alter, hat nach einem überstandenen Schlaganfall lustig Fasching gefeiert in ihrem Altenheim und einfach jeden Tag genommen, wie er kam. Irgendwie muss es ja weitergehen, hat sie gerne gesagt und dieses Lebensmotto hat sich damit auch bei mir eingeprägt.
    Ich finde es wichtig, solche Erinnerungen und Spuren zu bewahren, denn Geschichte wiederholt sich bekanntlich gerne.

    Also vielen Dank nochmal für den Denkanstoß
    und auch für die vielen anderen interessanten Seiten hier !

    Herzliche Grüße
    Liane

    1. Liebe Liane
      Dein Kommentar bewegt mich sehr. Ich kann Dir nur dazu raten, die Reise zu den eigenen Wurzeln zu unternehmen. Bei mir hat es vieles aufgewühlt. Aber durchaus im positiven Sinne.
      Deine Mutter muss etwas im Alter von meinem Onkel Wolfgang sein und da sie ja auch auf dem Gutshof war, kann Sie sich vielleicht noch an ihn erinnern. Wenn Du möchtest, kannst Du mir auch gerne per E Mail schreiben. egromann (at) patotra.com
      Liebe Grüsse
      Ellen

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